Weywertz liegt an der Einmündung der Vennquerbahn in die Vennbahn, an der Grenze der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Ostbelgien; der nächste Bahnhof Waimes gehört schon zur Französischsprachigen Gemeinschaft. Da es hier im Eifelbahnforum nicht die Rubrik „historisch“ gibt, musste ich mich für meinen post zwischen den drei belgisch-deutschen Grenzstrecken entscheiden und habe mich dabei für die Vennbahn entschieden; die anderen beiden Strecken werden aber auch berührt.
Als 2005 der Bahnhof Weywertz geräumt und dann in einer Feuerwehr-Löschübung abgefackelt werden sollte, hatte man zuvor die Bahnhofsakten in einen Papiercontainer vor dem Haus entsorgt. Der verstorbene Eisenbahn-Historiker Hans-Joachim Jakubowski hat sie geistesgegenwärtig aus dem Container gerettet; heute befinden sie sich im Archiv der IBS. Von dort habe ich sie einmal zum Scannen ausleihen können.
Dieses Bild zeigt die damalige Situation am Bahnhof kurz vor dem Feuerwerk
Diese Akten überdecken den Zeitraum 1944-58, also von der Befreiung bis zum Abschluss der Rekonstitution, und dokumentieren nicht nur den eisenbahntechnischen Wiederaufbau, sondern bieten auch einen sicher sehr speziellen, aber doch aufschlussreichen Einblick in die soziopolitische Entwicklung Ostbelgiens während dieser ersten Nachkriegsjahre. Deshalb werde ich hier in loser Folge einige dieser Dokumente vorstellen, die aus meiner Sicht geeignet sind, die damalige Situation in unserem Nachbarland zu beleuchten. Ausführlich wird die Zeit der deutschen Besetzung, der alliierten Befreiung und des Wiederaufbaus der ostbelgischen Eisenbahnen in einem Buch von mir behandelt, von dem sich offenbar noch Restexemplare im Verkauf befinden (https://www.huenerbein.de/Artikel-allge ... 0-060948-0).
Die Akten beginnen mit dem 13. Oktober 1944, also einen Monat nachdem Weywertz von den Deutschen geräumt und von den Amerikanern befreit worden, der Kampf um Aachen aber noch in vollem Gange war. Die Reichsbahn hatte die ostbelgischen Dienststellen bis zum 10. September 1944 geräumt und dabei die wichtigsten Akten mitgenommen, den Rest vernichtet. Im Oktober war Weywertz aber noch Frontgebiet! Eine belgische Zivilverwaltung gab es hier noch nicht, doch die Eisenbahnverwaltung funktionierte offenbar schon wieder oder immer noch, denn Dienstanweisungen der SNCB aus Brüssel und Lüttich wurden im Bahnhof Weywertz säuberlich gesammelt, während drumherum alles in Schutt und Asche lag und die Front keine 10 km entfernt war. Allen Mitarbeitern war zwar von der DR die Evakuierung zusammen mit ihren Familien angeboten worden, aber die einheimischen Volksdeutschen machten davon überwiegend keinen Gebrauch. So ist also anzunehmen, dass hier Reichsbahner zumindest nach dem Rechten sahen oder bereits mit dem Aufräumen begannen – Indiz für ihre hohe Identifikation mit ihrem Dienst zu einem Zeitpunkt, als sie noch keine Ahnung davon hatten, wie teuer sie ihre „Kollaboration“ bald noch zu stehen kommen sollte.
Für die Menschen im ostbelgischen Grenzland bedeutete das Kriegsende wieder einmal eine Neuorientierung. Nachdem sie 1940 von Hitler in sein Großdeutsches Reich angeeignet und ein Jahr später zu Volksdeutschen befördert worden waren, wurden sie nun zum zweiten Male innerhalb weniger Jahre wieder belgisch. Eine schwere Zeit brach für sie hier im Herbst 1944 an: Die Deutschen hatten bei ihrem fluchtartigen Rückzug trotzdem noch die Zeit gefunden, ihnen verbrannte Erde zu hinterlassen – ja im Dezember kamen sie sogar noch einmal zurück. Die Männer waren vielfach zur deutschen Wehrmacht eingezogen und mussten an der Ostfront noch ihr Leben im „Endkampf“ für Großdeutschland aufs Spiel setzen oder befanden sich bereits in russischer Gefangenschaft, während ihre Heimat schon befreit war! Auch mancher Zivilist befand sich auf der Flucht oder war aus seinem zerstörten Heimatort evakuiert worden und zwar nicht immer von den vorrückenden Amerikanern in den befreiten Westen, sondern noch von den abziehenden Deutschen nach Osten ins Altreich.
Mit den Amerikanern kamen auch die Belgier zurück, zunächst die bei regionalen Bauern untergetauchten, bald aber auch aus dem befreiten Alt-Belgien. Sie gehörten nun zu den Siegern und sollten jetzt wieder das Sagen haben. Viele von ihnen hatten unter den Nazis zu leiden gehabt und sahen die verbliebene, lokale Bevölkerung, erst recht aber die verschiedenen Rückkehrer – die nach Deutschland Evakuierten ebenso wie die zur deutschen Wehrmacht eingezogenen Zwangssoldaten und die Zwangsarbeiter – unisono als Sympathisanten und Kollaborateure des untergehenden Tausendjährigen Reichs an. Aber auch die aus der Grenzregion ins Landesinnere nach Alt-Belgien Geflüchteten oder Evakuierten waren suspekt, insbes. wenn sie Deutsch sprachen. Diese unsicheren Kantonisten im Osten standen jetzt unter dem Generalverdacht der Kollaboration mit dem Feind; es herrschte eine Atmosphäre der Angst vor Denunziation, alte Rechnungen wurden beglichen. Dabei hatten sie nur die Wahl gehabt zwischen „collaboration ou heroïsme“, so Henri Hoen, beigeordneter Bezirkskommissar in Malmedy. Mit Kollaborateuren und allem, was man dafür hielt, machte man anfangs kurzen Prozess; ab Frühjahr 1945 setzten dann geordnete Säuberungen ein, die aber auch nicht unseren heutigen, rechtsstaatlichen Standards standhalten würden. Bis 1949 war etwa ein Viertel der Bevölkerung in den Ostkantonen von mindestens einem Strafverfahren bedroht, aber nur 2,4% wurden schlussendlich auch verurteilt. Rund 6% der Ostbelgier wurden ausgebürgert und enteignet. Ein Riss ging durch die Gesellschaft und viele Familien − das in einer Zeit, da man eigentlich ein gemeinschaftliches Handeln zum Wiederaufbau gebraucht hätte.
Nachdem am 25. August 1944 − vor 80 Jahren − Paris befreit worden war, rückten die Amerikaner zügig nach Norden und Osten zur Befreiung Belgiens und Luxemburgs auf die deutsche Reichsgrenze vor. Gleichzeitig stießen die an der provencalischen Küste und an der Schelde-Mündung gelandeten Kräfte vor. Und so sah der Fortschritt aus:
2. September Überschreitung der belgischen Grenze bei Huy,
3. September Befreiung von Brüssel,
8. September Rückkehr der belgischen Exilregierung und Befreiung von Lüttich,
10. September Befreiung von Eupen und Luxemburg (Stadt).
Die Wehrmacht zog sich fluchtartig und chaotisch zurück. Als erste deutsche Orte wurden am 12. September Hemmeres und Roetgen erreicht, Aachen war heftig umkämpft, fiel schließlich am 21. Oktober.
Mit diesem raschen Vormarsch konnte die amerikanische Logistik auf den überfrachteten und vielfach zerstörten Straßen nicht mithalten, so dass man drei Transportnetze schuf, auf denen die entsprechend gekennzeichneten LKW Priorität hatten und für die Hin- und Rückfahrten quasi im Kreis fuhren: das White Ball, das Red Ball und das Green Diamont System. Eine große Rolle spielte aber auch der Schienenverkehr, den die US Military Railroad Services, US-MRS, wieder in Betrieb nahmen.
Aufschluss des ostbelgischen und westdeutschen Schienennetzes 1944/45 durch die US-MRS (Graphik Klaus-Dieter Klauser).
lila = Operationsgebiet des 718th US-ROB; grün = Operationsgebiet der 740th, 743th & 744th US-ROB
Im November durchstieß das 740th ROB bei Schmithof die verminte Siegfried-Line, den Westwall, und erreichte am 14. November mit zwei ersten Zügen Walheim. Eigentlich hatte man hier einen Railyard zur Lagerung von Nachschubgütern anlegen wollen, aber angesichts der Frontnähe war das der Führung dann doch zu riskant. Im Dezember wurde ausgehend von Pepinster die Strecke über Trois-Ponts bis Malmedy wieder in Betrieb genommen und dort am 14. Dezember 1944 zwei große Treibstoffdepots eingerichtet. Diese Tanklager in die Hand zu bekommen, war das erste Ziel der deutschen Ardennenoffensive am 16./17. Dezember, wobei die Amerikaner ihnen am 16. Dezember beinahe noch einen ganzen Treibstoffzug mitgeliefert hätten, wenn der Lokführer nicht im letzten Moment kehrtgemacht hätte. Zu Weihnachten 1944 fahren bereits auch erste Personenzüge wieder von Pepinster nach Trois-Ponts.
Nach der Ardennen-Offensive machte das 740th US-ROB die Strecke bereits am 25. Januar bis Malmedy erneut wieder befahrbar und richtete danach zur direkten Frontversorgung einen Rundkurs über die Vennbahn ein von Malmedy – Waimes – Weywertz – Raeren nach Herbesthal und Walheim. Dabei wurde auch der Reichenstein-Viadukt bei Kalterherberg provisorisch wieder instandgesetzt. Das war hier im Februar 1945 zeitweilig die einzige Versorgungslinie, da durch das einsetzende Tauwetter die zerfahrenen Straßen nach wenigen Tagen unpassierbar wurden. Am 7. Februar 1945 war auch der Streckenabschnitt von Walheim bis Stolberg wieder befahrbar. Vom 732nd US-ROB ist ein Bericht über die Frontversorgung unter den damaligen Bedingungen überliefert: Solange die Wasserversorgung über längere Streckenabschnitte nicht gewährleistet war, fuhr man mit Dieselloks. Signal- und Telefoneinrichtungen bestanden nicht mehr, Brems- und Beleuchtungstechnik war an den Beutefahrzeugen weitgehend defekt und nicht kompatibel mit dem amerikanischen Material, die Lokführer fuhren auf Sicht und das bei unzureichender Streckenkenntnis. Trotzdem bewahrten sie sich offenbar ihren Humor. Als sie mit ihrem ersten Versorgungszug an den Frontstellungen angekommen waren, fragte der Lokführer den Offizier an den Geschützen, ob sie Munitionsnachschub bräuchten. Der war ganz perplex und fragte nur zurück „How far up to the front do your Railway Operating Battalions run the trains?“ und bekam zur Antwort „Well, front line delivery is pretty much routine work in the average day of the 732nd. We are known as the front door delivery battalion.“ – Dann konnte er abladen.
Am 7. März fiel die Ludendorff-Brücke bei Remagen den Amerikanern unerwartet in die Hände. Für General Eisenhower war der strategische Wert dieser Eroberung so groß, dass er – als Metapher gesprochen – die Brücke in Gold aufwiegen wollte. Deshalb hatte Remagen nun absolute Priorität in der amerikanischen Nachschublogistik auch noch, als die schwer beschädigte Brücke nach 10 Tagen dann doch einbrach, wobei übrigens mehr amerikanische Soldaten den Tod fanden als bei ihrer Erstürmung. Das 740th US-ROB wurde deshalb von Lüttich nach Aachen verlegt und machte bis zum 19. März innerhalb von wenigen Tagen den Schienenweg bis Urmitz frei über Stolberg – Düren – Euskirchen – Bonn – Remagen. Nun rollte hier ununterbrochen der Nachschub und das Bw Bonn avancierte dadurch zum zwischenzeitlich wichtigsten Railyard der Amerikaner. Zur Erbringung dieser Transportleistungen wurde das 744th US-ROB nach Bonn verlegt. Es hatte hier zahlreiche Maschinen zur Verfügung, neben Reichsbahnloks vor allem die amerikanischen Klapperschlangen der Serie 160.
Die Eisenbahnlinien und -einrichtungen waren stark zerstört. In den weiter westlichen Bereichen ihres Streckennetzes nahm die SNCB aber den Betrieb bereits notdürftig wieder auf. Dabei hatten Transportaufgaben für die Alliierten Vorrang. Bei den zivilen Transportleistungen hatte oberste Priorität die Versorgung mit Bau- und Brennmaterialien sowie der Transport lebender (Schlacht)Tiere; der Personenverkehr war nur untergeordnet. Anfang 1945 wird in kleinen Schritten der Betrieb auch auf den Strecken östlich von Lüttich wieder aufgenommen. Anfang März 1945 übertragen die Amerikaner der SNCB wieder die Verantwortung für das Eisenbahnnetz in Belgien und am 8. März 1945 fordert die Hauptverwaltung mit Avis 22C alle Dienststellen auf, sämtliche Unterlagen und Dokumente aus deutscher Zeit aufzubewahren, bis weitere Anweisungen erfolgen.
Aus den Akten des Bhf. Weywertz (0): Einführung und Vorgeschichte
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- Registriert: Mittwoch 13. September 2006, 18:00
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Re: Aus den Akten des Bhf. Weywertz (0): Einführung und Vorgeschichte
Hallo Michael,
vielen Dank für die Arbeit,
die du dir mit dem Sichten und scannen der Akten gemacht hast
Jetzt muß ich mich nach und nach mal da durchlesen.
Nochmals Danke.
vielen Dank für die Arbeit,
die du dir mit dem Sichten und scannen der Akten gemacht hast
Jetzt muß ich mich nach und nach mal da durchlesen.
Nochmals Danke.
gruß aus der Eifel
Heinz
Heinz